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Teile dieses Berichts finden sich auch in meinem Thread zum ADHS-Monat 2021 im fediverse wieder. Der Thread ist aber, keine Ahnung warum, ein bisschen kaputt gegangen und seither habe ich “diesen Thread in Blogbeiträge aufteilen” auf meiner To-Do-Liste gehabt. Ähem.
Anyways. Der Thread, und damit dieser Post, basiert auf einer Liste an Prompts zum ADHD Awareness Month (jährlich im Oktober), geteilt 2021 von Pina aka @ADHDAlien auf twitter :
Die Fragen, die ich hier beantworten werde, sind:
# 1: Wie hast du herausgefunden, dass du ADHS haben könntest? (zum zugehörigen Abschnitt springen)
# 2: Wie hast du deine Diagnose bekommen? (springen)
# 12: In welchem Alter hast du deine Diagnose bekommen? (springen)
# 13: Welchen Typ ADHS hast du? (springen)
# 15: Was hat sich für dich nach deiner Diagnose geändert? (springen)
Mit etwas Glück schaffe ich es auch, für weitere Fragen weitere Posts zu schreiben 😅 Falls der Beitrag Fragen offen lässt oder neue aufwirft, lasst sie mir gerne zukommen (Kontaktinfos). Ein wunderschöner Outcome des ADHS-Threads auf mastodon und auf twitter waren die Leute, die sich durch meine Beschreibungen gesehen gefühlt haben – und die sich ermächtigt gefühlt haben, nachzufragen, wie sie womöglich zu einer Diagnose kommen könnten.
Offizieller Beginn meiner Diagnostik war Ende 2019. In den Jahren davor sind bei mir gewisse Verhaltensweisen verstärkt aufgetreten, die von anderen Personen als “womöglich ADHS-Symtpome” eingeordnet wurden. Diese Symptome haben teilweise zu heftigen Konflikten geführt, was mich dazu bewegt hat, mich im Internet etwas schlauer zu machen, was dieses ADHS eigentlich ist (Spoiler: nicht – nur – das, was landläufig als ADHS bekannt ist), und was man “dagegen” machen kann (neben Diagnose, Therapie und Medikation: erstaunlich viel).
Kurze Terminologie noch: ADHS ist kurz für “Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom”. Eine schlechte Beschreibung dessen, was tatsächlich der Fall ist: Menschen mit ADHS haben keinen Mangel an Aufmerksamkeit – sondern Probleme, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren. Wer mich kennt, kennt’s: ich kann mich supergut auf manche Dinge konzentrieren, bei anderen Sachen geht das gar nicht, und tendenziell bin ich ein hibbeliger Mensch. Ruhig sitzen geht gar nicht – was sich zum Teil auch in so Dingen äußert wie abgekauten Fingernägeln, ständigem ins-Gesicht-fassen, mit-Kugelschreibern-klicken, etc pp.
Etwas, das mir bereits im Vorhinein einmal verlinkt wurde, war dieser Artikel zum selbstorganisierten Arbeiten mit ADHS, und von irgendwo anders her kam eine Empfehlung für den Youtube-Kanal “How To ADHD” von Jessica McCabe. Beim Anschauen der Videos ist es nicht nur einmal passiert, dass ich plötzlich zu weinen angefangen habe – weil da plötzlich Erklärungen für meine Struggles waren, weil da eine Person war, die Verständnis für mich hatte, weil plötzlich so viele meiner Fehler erklärbar waren. Und das alles vor allem: ohne Schuldzuweisung, ohne “Wenn dir X wichtig wäre, würdest du (nicht) …”. Seither verweise ich immer wieder Menschen auf viele der Videos von Jessica – u.a. das zur erhöhten Angst vor bzw. Wahrnehmung von Zurückweisung (Rejection Sensitivity).
Einen deutschsprachigen Kanal mit einem ähnlichen Qualitätslevel in Hintergrundinformation/Recherche und den Videos habe ich bisher nicht gefunden (aber auch nicht so wirklich gesucht, also falls jemand Empfehlungen hat, gerne her damit).
Nach den diversen Situationen, in denen ich mir also irgendwann gedacht habe, “Hm, das ist also ADHS – hmm, das klingt ganz ordentlich nach mir”, ging’s dann los auf den Weg zur Diagnose. Und das war bei mir erstaunlich unkompliziert. Schwierig und herausfordernd vor allem auf einer emotionalen Ebene, aber organisatorisch eben erstaunlich unkompliziert.
Ich bin mit meinem Verdacht auf ADHS – aber auch eine leichte, wiederkehrende Depression – zu meiner Hausärztin gegangen. Die war erstaunlich offen meinen Beschreibungen gegenüber (then again, ich hatte ziemlich detaillierte Beschreibungen meiner Probleme) und hat mir eine Überweisung für eine_n Psychiater_in ausgestellt. Dort das selbe wieder, also Überweisung für eine Diagnostik. Und damit bin ich zur Sigmund Freud Universität – deren Ambulanz kannte ich bereits, weil ich schon vor einigen Jahren wegen depressiver Symptomatiken kurz in Behandlung war. Stellt sich raus: Frauen, die im Erwachsenenalter eine ADHS-Diagnose bekommen, haben statistisch signifikant häufiger zuerst eine Diagnose Depression oder Angststörung bekommen (z.B. Krause, Gastpar und Davids, 2006).
Mein Erstgespräch bei der SFU hatte ich im September 2019, der erste Diagnostik-Termin war im Jänner 2020. Weil es sich um eine medizinische Behandlung handelt, waren die Lockdowns wegen Corona nur bedingt ein verzögernder Faktor.
Parallel zur Diagnostik habe ich auch wieder eine Behandlung angefangen, aber bald wieder aufgehört – unter anderem, weil die zugewiesenen Person wiederholt darauf hingewiesen hat, dass ich doch “So super organisiert” sei. Weil ich ein Bullet Journal (Notizbuch-Kalender-Kombination) führe. Was ein Coping-Mechanismus ist, weil ich sonst ständig Dinge vergesse, weil … naja.
Ich schweife ab. Was übrigens auch ein Ding war, das den Verdacht auf ADHS erhärtet hat, ist dieser Comic (Quelle), der genau dieses Abschweifen perfekt beschreibt:
Die ADHS-Diagnostik, wie ich sie erlebt habe, ist vor allem eine Abfolge von sich wiederholenden Fragen zu Schwierigkeiten in Kindheit, Jugend, und aktuellem Alltag. Verschiedene Fragebögen stellen die Fragen verschieden, der Inhalt bleibt aber sehr ähnlich bis gleich. Dazu kommen noch einige Tests, die Aufmerksamkeit und Fokus prüfen. Bestes Beispiel aus einem der Fragebögen ist die folgende Frage:
In Gesprächen mit anderen Personen, wenn Sie das Gefühl haben, bereits zu wissen, worauf Ihr Gegenüber hinaus will, wie schwer fällt es Ihnen dann, nicht zu unterbrechen und bereits Ihren nächsten Punkt zu machen oder die Frage zu beantworten?
Meine Antwort war ein ziemlich verzweifeltes: “Ja.” – es hatte mich schon ganz schön viel Kraft gekostet, bei dieser Frage nicht zu unterbrechen.
Die letzten Fragebögen hatten wir dann im Frühsommer 2020 erledigt, die Diagnose wurde dann im September bestätigt (bei der SFU sind primäre Therapie-/Diagnosepersonen “in Ausbildung unter Supervision”, Diagnosen werden von erfahreneren Personen gegengeprüft). Offiziell gestellt wurde die Diagnose am 12. Oktober 2020. Damit war das sehr genau 3 Monate nach meinem 34. Geburtstag.
Bei ADHS-Diagnosen gibt es eine Unterscheidung in 3 Typen: “primär unaufmerksam”, “primär hyperaktiv”, und “kombiniert”. Die Diagnose lautete: ADHS, kombinierter Typus. Und das erklärt einfach so viel.
Mit der Diagnose kam vor allem eines: Erleichterung. Dann, mehr Verständnis für mich selbst. Und: der Mut, Verständnis von anderen für mich und meine Schwierigkeiten, meine Stärken und Schwächen, einzufordern. Weil ich endlich sagen konnte: Ich mache das nicht absichtlich. Ich bin dafür nicht zu faul. Ich bin auch nicht zu dumm. Ich möchte Dinge besser machen – aber ich hab einfach Probleme damit. Medikation habe ich bisher nicht angefangen – obwohl schon 2 Jahre seit der Diagnose vergangen sind. Ich bin einfach noch nicht dazu gekommen, mir einen Termin auszumachen – parallel zur Diagnose war nicht nur Corona ein Thema, sondern auch eine Trennung und damit ein Umzug. Das hat alles nicht gerade einfacher gemacht 😅
An alle, die bis hierher gelesen haben: Danke für euer Interesse. Falls noch Fragen offen geblieben sind, oder neu aufgekommen sind, lasst sie mir gerne zukommen (Kontaktinfos).