Seminararbeit: Repräsentation von Gender in Science Fiction

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The following text is a term paper I wrote in the spring term of 2015. The class I wrote it for is called “Rätsel, Erkenntnis, Wissen: Kulturelle Macht der Wissenschaften” (roughly translated: “Puzzle, Insight, Knowledge: Cultural Power of Sciences”). It is taught by Amelie Cserer every spring term at TU Wien as a soft skills/transferrable skills course. The description sounded very interesting to me, and the first session just made me more intrigued. You may notice that the teacher used the plural form of Wissenschaft (science) – she told us in the first session that this was kind of a statement to show that there is no such thing as “die Wissenschaft” (“the (one and only) science”), although people tend to use the word that way.

The class consisted of 4 sessions overall, with the first being mostly of organisational nature. As there were a lot more attendees than Amelie was expecting, topics were assigned to up to 4 people to work on. The remaining session were dedicated to presentations of term papers; the presentations were held in groups of people who had worked on the same topic. The papers could be handed in alone, or in groups.

The topics ranged from biographies of scientists (starting with Hildegard von Bingen and Benedekt von Nursia all the way to Mileva Maric and Albert Einstein), techno-feminism (i.e. the Cyborg Manifesto) all the way to scientists as revolutionaries and guardians of the earth. My topic, however, was the depiction of women as scientists in science fiction. During Easter Break, my task was to watch 4 scifi movies and then talk about the depiction of the women therein. It was fascinating, sometimes horrifying, and gruesome at times: Avatar, Contact, Prometheus, and Splice all are fun movies to watch, but especially the last two lean a bit toward the horror genre, to say the least.

I want to provide you with both a SPOILER WARNING and a CONTENT NOTE for all these movies: Contents and story lines are discussed at length, and include – amongst others – colonialisation and rape.

Anyways, without further ado, here comes the paper. Sorry to my international readers (do you even exist anymore?), but it’s completely in German.

Repräsentation von Gender in Science Fiction

Seminar Kulturelle Macht der Wissenschaften, Sommersemester 2015

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Warum Gender Repräsentation?
Die besprochenen Filme
Medien und Stereotype
Frauenrollen in den untersuchten Filmen
Vermittelte Ideen und Ansichten, mögliche Auswirkungen
Film und kulturelle Macht
Quellen

Einleitung: Warum Gender Repräsentation?

Im Rahmen der Lehrveranstaltung “Seminar Kulturelle Macht der Wissenschaften” wurde im Sommersemester 2015 auch das Thema Gender in Science Fiction und die Darstellung von Wissenschaftlerinnen in Science Fiction-Filmen behandelt. Ausgewählte Filme wurden in Hinblick auf die vermittelten Frauenbilder, den Umgang mit den weiblichen Charakteren und die dahinter stehenden Ideen untersucht. In der englischen Sprache wird zwischen zwei “Arten” von Geschlecht unterschieden: “Sex” bezieht sich auf das biologische Geschlecht. “Gender” beschreibt im Gegensatz dazu, welche Zuschreibungen eine Person auf Grund des Geschlechts von ihrer Umgebung erhält. Es geht also in dieser Seminararbeit nicht nur um die Tatsache, OB Frauen in den untersuchten Filmen dargestellt werden, sondern auch um den Umgang mit stereotypen Rollenbildern.
Die vorliegende Semianrarbeit behandelt also die Darstellung der Forscherinnen, die eine oder die Hauptrolle in den genannten Filmen spielen. Sie diskutiert die Interaktion zwischen den Forscherinnen und ihrem Umfeld, das Bild das von Frauen in der Wissenschaft gezeichnet wird, und natürlich die Auswirkungen, die die festgestellten Bilder und Darstellungen auf das Filmpublikum haben können.
Bei den ausgewählten Filmen handelt es sich um Avatar (James Cameron, 2009), Contact (Robert Zemeckis, 1997), Prometheus (Ridley Scott, 2012) und Splice (Vincenzo Natali, 2009). Es ist klar, dass vier Filme nicht repräsentativ sein können, allerdings würde mehr Untersuchungsmaterial den Rahmen einer Seminararbeit wohl sprengen.
Die theoretischen Grundlagen zur Analyse der Filme lieferten diverse Artikel, die die sozialwissenschaftliche und feministische Analyse von Mädchen- und Frauenbildern in der Populärkultur behandeln. Von besonderer Wichtigkeit ist der Artikel Cultural Representations of Gender and Science. Portrayals of Female Scientists and Engineers in Popular Films von Jocelyn Steinke (2005), da Steinke auch einige der Filme behandelt, die in dieser Seminararbeit thematisiert werden.
Der Grund, genau dieses Thema für ein Referat und eine Seminararbeit zu wählen, war mein Interesse für Science Fiction-Filme in Kombination mit dem für mich wichtigen Thema der Darstellung von Frauen in populären Medien.

Die besprochenen Filme

In der vorliegenden Arbeit wird beispielhaft immer wieder Bezug auf die untersuchten Filme genommen. Da es, um die Arbeit zu verstehen, nötig ist, die Filme zu kennen, folgt ein kurzer Überblick über die Geschichten und die Charaktere der besprochenen Filme.

Avatar

Der 3D-Film Avatar von Regisseur James Cameron behandelt vor allem die Geschichte von Jake Sully (Sam Worthington), dessen Zwillingsbruder Teil des Forschungsteams rund um Doktor Grace Augustine (Sigourney Weaver) war. Jake muss seinen Zwillingsbruder ersetzen, da in der Forschung von Doktor Augustine sogenannte “Avatare” benutzt werden, um mit den UreinwohneInnen auf dem Planeten Pandora (die Na’vi) in Kontakt zu treten. Wichtigster Erzählstrang ist die Entwicklung von Jake Sully vom ignoranten Ex-Marine (er sitzt wegen einer Verletzung im Rollstuhl) zum Fürsprecher und Mitkämpfer der Na’vi. Die Kämpfe Augustines gegen den Leiter der wirtschaftlich-militärischen Forschungsmission werden ebenfalls dargestellt, sind allerdings eher zweitrangig. Augustine stirbt noch bevor Jake Sully alle Stämme der Na’vi in einem gemeinsamen Schlag gegen die Menschen führen kann und Pandora befreit.

Contact

Regisseur Robert Zemeckis erzählt in Contact die Geschichte von Ellie Arroway (Jodie Foster), die mittels Funk nach Leben auf fremden Planeten sucht. Nach jahrelanger Suche taucht eines Tages ein außerirdisches Signal auf, es kommt zur Übertragung von Daten zwischen der unbekannten Quelle und der Erde. Die Daten beinhalten den Bauplan für eine Maschine ungewissen Zwecks, die von einem weltweiten Konsortium nach einigem Hin und Her gebaut wird. Die Maschine scheint für genau eine Person Besatzung entworfen zu sein. Obwohl Arroway – mit all ihrem Forschungshintergrund – prädestiniert für diesen Posten ist, wird ihr Ex-Boss Drumlin (Tom Skerritt) für die Mission ausgewählt. Im Auswahlprozess wird dies damit begründet, dass Arroway eine vehemente Atheistin ist, während Drumlin sich zumindest im Rahmen der Interviews als gottesfürchtigen Menschen darstellt. Arroways Kampf um Anerkennung, um ihr Projekt und schlussendlich auch um ihre Glaubwürdigkeit sind – neben ihrer Romanze mit Palmer Joss (Matthew McConaughey) die Hauptgeschichte.

Prometheus

Ridley Scott erzählt die Geschichte von Elizabeth Shaw (Noomi Rapace) und Charlie Holloway (Logan Marshall-Green), die im Jahr 2089 in Höhlenmalereien eine Karte entdecken, die sie zu den ErschafferInnen der Menschheit führen soll. Der Film ist Teil des Alien-Universums, entsprechend ist der Überlebenskampf der ProtagonistInnen der primäre Erzählstrang. Daneben erfahren die ZuseherInnen, dass der vermeintlich tote Finanzier der Mission noch sehr lebendig (und mit von der Partie) ist, und dass seine Verteterin (Charlize Theron) tatsächlich seine Tochter ist und wohl nur mitgekommen ist, um sicher zu gehen, dass ihr Vater endlich stirbt. Für Elizabeth hat die Mission kein gutes Ende – von der gesamten Besatzung überleben nur sie und der Android David (Michael Fassbender), und statt zur Erde zurück zu kehren, setzen sie ihre Suche nach den ErschafferInnen fort.

Splice

Splice ist der einzige Film auf dieser Liste, der nicht in den USA produziert wurde. Es handelt sich um eine franko-kanadische Produktion mit Regisseur Vincenzo Natali. Im Zentrum steht die Geschichte von Clive Nicoli (Adrien Brody) und seiner Partnerin Elsa Kast (Sarah Polley), die zusammen in einem Gentechnik-Forschungslabor arbeiten. Sie kombinieren die DNA verschiedener Tiere miteinander, um Lebewesen zu erschaffen, die bestimmte Proteine erzeugen. Bei einem illegalen Versuch der beiden, bei dem sie zusätzlich menschliche DNA zur tierischen hinzufügen, entsteht ein fast menschliches Wesen, genannt Dren. Dren durchläuft die Phasen des Aufwachsens extrem schnell, und so werden Elsa und Clive nicht nur mit ihren persönlichen Fragen von Moral und Ethik konfrontiert, sondern noch dazu mit einer Teenagerin mit übermenschlichen Kräften und Fähigkeiten. Schlussendlich zerstört Dren nicht nur die Beziehung zwischen Elsa und Clive, sondern tötet Clive und – nachdem sie ihr Geschlecht gewechselt hat – vergewaltigt und schwängert Elsa. Der Film endet damit, dass Elsa im Rahmen eines lukrativen Forschungsprojektes den Auftrag erhält, das Kind auszutragen.

Medien und Stereotype

Filme sind Teil der modernen Medienlandschaft und Populärkultur. Was in Filmen dargestellt wird, kann Abbild unserer Gesellschaft sein, Rückblick in frühere Zeiten, oder ein Ausblick in eine glanzvolle Zukunft. Sie können aktuelle Verhältnisse anfechten und herausfordern – oder sie unhinterfragt reproduzieren (Villa, 2012). Werden aktuelle Verhältnisse einfach nur abgebildet, ohne Kritik an den diversen Schwächen unserer Gesellschaft (Rassismus, Sexismus, … ) zu üben, implizieren die abbildenden Medien damit, dass diese Gesellschaft so vollkommen in Ordnung sei. Entsprechend werden die dargestellten Rollen idealisiert und übernommen. In der vorliegenden Arbeit wird vor allem der Frage nach der Darstellung von Frauen in “Männerdomänen” – ob in der Genforschung, Raumfahrt, oder Ethnologie – in Science Fiction-Filmen nachgegangen.
Filme dienen unter anderem als Vorlagen für Kinder und Jugendliche: Sie bieten Blaupausen für Geschlechteridentitäten und die Interaktion mit Menschen (auch “des anderen Geschlechts”), und bieten Informationen zu Berufen. Ob Kinder einen Beruf für sich selbst als passend, eine Karriere als möglich ansehen, oder nicht, liegt also – neben Vorbildern aus dem persönlichen Umfeld – daran, welche Bilder Medien ihnen vermitteln. Dass gerade Mädchen im Alter von etwa 12 Jahren in den USA das Interesse an technischen Fächern verlieren, kann mit der niedrigen und wenig positiven Repräsentation von Frauen in technischen Feldern in der Populärkultur in Verbindung gebracht werden: In diesem Alter werden vermehrt Vorbilder für Rollenbilder gesucht und Medien nehmen als Transportmittel für solche Vorbilder an Wichtigkeit zu. Gleichzeitig verspüren junge Mädchen in diesem Alter ein großes Verlangen danach, zu Gruppen zugehörig zu sein und sich anzupassen, was mit einem Verlust an Selbstsicherheit einher geht. “Mädchenhaft” zu sein bringt – für Mädchen – Zustimmung, Akzeptanz, Beliebtheit, und verhindert Konflikte (Steinke, 2005). Die Definitionen für “mädchenhaft” entnehmen Kinder etwa in der  Familie, dem erweiterten Umfeld wie zum Beispiel Kindergarten und Schule, durch Bücher und Fernsehserien.
Gerade Medien, die auf Konsum innerhalb kurzer Zeit ausgelegt sind, wie Fernsehserien oder Filme, greifen zur Darstellung von Charakteren gerne auf Stereotype zurück. Ein bekanntes Klischee zu benutzen spart die Zeit, eine aufwändige Hintergrundgeschichte zu erzählen. Menschen können mit Stereotypen gut umgehen – sie nutzen sie instinktiv selbst, um schnell und passend auf Situationen zu reagieren. Kinder lernen schon früh, Stereotype anzuwenden: zum Beispiel “immer wenn es 18 Uhr ist, dann gibt es Abendessen”. Oder: “Menschen, die wie Person A aussehen, haben ähnliche Eigenschaften wie Person A”. Diese Eigenschaften lassen sich – nachdem unsere Gesellschaft zweigeschlechtlich organisiert ist – in männlich und weiblich einteilen. Kinder lernen schon früh: Frauen sind  passiv, emotional, körperlich schwach, hilflos, abhängig, kümmern sich um die Familie. Männer hingegen sind aggressiv, klug, stark, aktiv, selbstsicher, analytisch (Steinke, 2005).

Frauenrollen in den untersuchten Filmen

Von den 74 von Steinke (2005) untersuchten Filmen hatten 25 weibliche Wissenschafterinnen als Hauptcharaktere (ca. 34 %). Das ist kaum verwunderlich, hat doch die New York Film Academy (NYFA) 2013 festgestellt, dass in den Top 500 Filmen der Jahre 2007-2012 gerade einmal 30,8% der Sprechrollen von Frauen verkörpert wurden. Die Darstellung der Charaktere war oft positiv: Steinke bezeichnet die Charaktere als sachkundig, artikuliert, freimütig, selbstsicher, kompetent, kreativ und unabhängig. Sie sind hart arbeitende Profis, zeigen Leidenschaft für ihre Arbeit. Oft erscheinen sie auch als getrieben und unnachgiebig. Ellie Arroway in Contact geht sogar so weit, zu sagen, sie wäre bereit, für ihr Projekt zu sterben (“I’m willing to die for it”, 01:18:15).
In allen vier für diese Arbeit analysierten Filmen werden die weiblichen Hauptcharaktere auf ihre Rolle als Wissenschafterin reduziert. Oft können oder wollen sie keine Beziehungen eingehen (z.B. möchte Dr. Eleanor Arroway in Contact kein zweites Date mit Palmer Joss, obwohl beim ersten Date scheinbar alles gut lief) oder sie können oder wollen keine Kinder bekommen: Elizabeth Shaw in Prometheus deutet an, dass sie körperlich nicht in der Lage ist, schwanger zu werden (“I can’t create life”, 00:58:35). Elsa Kast in Splice spricht in einem ablehnenden Ton von einer “dritte[n] Partei, die noch gar nicht existiert” (00:18:00). Bei vergleichbaren männlichen Rollen wird ein eventuell vorhandenes Familienleben selten thematisiert.
Ebenfalls in allen vier von mir und vielen von Steinke (2005) untersuchten Filmen werden Frauen trotz ihrer Darstellung als kluge, kompetente Personen von ihren männlichen Mitarbeitern und Freunden in Frage gestellt. Wiederholt müssen sie ihre “Daseins”-Berechtigung erklären, ihre Erfahrungen, den Wert ihrer Projekte und Ideen und ihre Entscheidungen verteidigen. Männer in ähnlichen Situationen müssen sich zwar auch rechtfertigen, aber kaum im selben Ausmaß.
Interaktionen zwischen den weiblichen Hauptcharakteren und ihren männlichen Kollegen werden zeitweise offen, zeitweise subtil stereotyp und sexistisch diskriminierend dargestellt. Offensichtliche Beispiele hierfür finden sich vor allem in Contact: “Next frame, Ellie” (01:04:42): David Drumlin, Ex-Boss von Ellie Arroway, übernimmt die Präsentation des Projektes, das gar nicht er selbst, sondern Ellie Arroway, leitet und zwingt Arroway in die Position der Sekretärin oder Assistentin. Im anschließenden meeting wird Arroway von einem Mann am anderen Ende des Tisches in recht herablassendem Ton als “Miss” bezeichnet, obwohl die richtige Anrede in diesem Setting “Doctor” ist – die für Drumlin auch benutzt wird.
In anderen Filmen passiert Sexismus eher unterschwellig – dadurch, dass negative Bezeichnungen für Frauen benutzt werden, wenn sie sich gleich oder ähnlich wie Männer verhalten, z.B. als “major pain in the ass” in Contact (00:10:05), oder als “zealot girlfriend” (Prometheus, 00:45:30).
Doch es bleibt nicht beim bereits erwähnten In-Frage-Stellen der Wissenschafterinnen: männliche Kollegen schnappen ihnen Forschungsgelder oder Laborräumlichkeiten weg, ernten die Lorbeeren für Leistungen und sprechen an ihrer Statt, wie etwa in Contact (siehe oben). Steinke (2005) spricht sogar von Fällen sexueller Belästigung der  Wissenschafterinnen. In den von mir untersuchten Filmen gibt es “nur” einen Fall phsyischer sexueller Belästigung, dieser ist aber umso schwerwiegender: die Vergewaltigung von Elsa Kast durch Dren (Splice, 01:34:37). Dren, auch bekannt als “H50”, wird zu Beginn weiblich wahrgenommen, wechselt gegen Ende des Films aber ihr Geschlecht und “wird” somit männlich. Die Darstellung von Dren als “Monster”, das unberechenbar ist und ihr/sein Geschlecht ändert, stellt Transsexualität als Abartigkeit dar. Aus der Vergewaltigung geht eine Schwangerschaft hervor, die Elsa allerdings nicht abbrechen, sondern im Rahmen eines weiteren Experiments austragen möchte.
Ebenfalls in Splice wird die Rolle der Wissenschafterin als Mutter diskutiert. Wie bereits vorher erwähnt, möchte Elsa Kast eigentlich keine Kinder. Als Dren aber zur Welt kommt und sich rasch zu einem fast menschlichen, klugen Kind entwickelt, wechselt sie ihre Ansicht. Noch vor ihrem Partner, Clive Nicoli, nennt sie das Kind “Dren”, statt ihre Experimentkennung “H50” oder das Wort “specimen” zu benutzen. Das führt so weit, dass Clive ihr sogar vorhält, ihre Rolle als Wissenschafterin aus den Augen zu verlieren (“when did you stop being a scientist?”, 00:38:00). Als Elsa, Clive und Dren in das Haus von Elsas Mutter ziehen, weil im Labor Umbauarbeiten ihr Geheimnis gefährden, erfahren die Zuseher_innen, halten Elsa und Dren sogar einen “Frauenabend” ab. Dren bekommt Schmuck und Make-Up, Elsa erinnert sich daran, dass sie selbst als Jugendliche nie Schmuck oder Make-Up tragen durfte (01:02:56).
In Avatar scheint Grace Augustine, Leiterin des Forschungsprojektes auf Pandora, Koryphäe auf dem Gebiet der Na’vi, manchmal ihre “verpasste” Rolle als Mutter zu vermissen. In einigen Szenen lässt sie regelrecht mütterliche Ansätze durchscheinen, nachdem sie sich an das neue Teammitglied Jake gewöhnt hat. Sie bezeichnet ihre Mitarbeiter_innen als Kinder (“it’s like kindergarten around here”, 00:58:20), kümmert sich darum, dass es ihnen auch körperlich gut geht – wenn auch auf ihre eigene, zynische Art und Weise (“don’t make me force-feed a cripple”, 01:38:25 – Anm.: die Bezeichnung als “Krüppel” bezieht sich auf die körperliche Einschränkung von Jake. Er scheint selbst kein Problem mit der Bezeichnung zu haben. Augustine benutzt in diesem Austausch einen eher warmen Ton.). Vorgestellt wird Grace Augustine noch als rauchende, fluchende Wissenschafterin, die ihre Mitarbeiter_innen manchmal einschüchtert (“get me a goddamn cigarette”, 00:14:35), bei ihrem sehr emotionalen Tod hat sie eine regelrechte Mutterrolle für Jake eingenommen.

Vermittelte Ideen und Ansichten, mögliche Auswirkungen

Die zuletzt genannten Beispiele zeigen eine starke Reduktion der Frauen auf ihre Rollen als Wissenschafterinnen. Die Implikation, dass Frauen, die forschen, nicht gleichzeitig Mütter sein können, ist vor allem in Splice gut sichtbar. Steinke (2005) konnte in den 23 Filmen, in denen sie Wissenschafterinnen fand, gerade einmal 4 ausmachen, in denen die Frauen auch Mütter waren. Die meisten, so Steinke, sind single, oder haben keine Kinder (egal ob verheiratet oder nicht).
Steinke stellt außerdem fest, dass Romantik einen großen Stellenwert in den untersuchten Filmen hat – meist wird jedoch dargestellt, dass es schwer ist, eine Work-Life-Balance zu etablieren und eine glückliche Beziehung zu führen während frau erfolgreiche Wissenschafterin ist. So verliert Ellie Arroway ihren guten Ruf als Forscherin und führt “nur noch” Schulklassen über die Forschungsanlage, aber ist sie nun glücklich mit Palmer Joss (Contact). Grace Augustine (Avatar) wird im ganzen Film nie als Frau mit Interesse an intimen, persönlichen Beziehungen zu anderen Menschen dargestellt, im Zentrum ihres Lebens steht die Erforschung und das Leben der Na’vi. Die Beziehung zwischen Elsa Kast und Clive Nicoli zerbricht an ihrem gemeinsamen Experiment – schon bevor Dren Clive tötet (Splice).
Ein Thema, das von Steinke nicht untersucht wurde, in den im Rahmen des Seminars betrachteten Filmen aber stark ins Auge gefallen ist, ist das des “broken home”. In drei der vier Filme wird auf die Kindheit der proträtierten Wissenschafterinnen eingegangen, sie haben eine eindeutige Hintergrundgeschichte – und in allen drei Fällen sind sie zumindest Halbwaisen. Allie Arroway und Elizabeth Shaw werden jeweils von ihrem Vater erzogen. Beide Väter fördern und beeinflussen ihre Töchter, wie in Rückblenden gezeigt wird, stark. Elsa Kast hingegen wird von ihrer Mutter aufgezogen, die ihr scheinbar keine “normale” Kindheit zugestanden hat. Sichtbar wird dies an ihrem alten Zimmer (00:56:00), das mehr an eine Zelle als an ein Kinderzimmer erinnert. Spielsachen und Erinnerungsstücke hat sie in einer Schachtel versteckt (00:57:00), und wie bereits erwähnt, hat ihre Mutter ihr nie erlaubt, Schmuck oder Make-Up zu tragen. Diese Hintergrundgeschichten implizieren, dass nur Frauen mit einer “kaputten Familie” oder fehlenden “richtigen” weiblichen Vorbildern auf die Idee kommen, Forscherinnen zu werden.
Insgesamt erschweren viele Filme es jungen Frauen und Mädchen, sich mit Forscherinnen zu identifizieren. Der Ausblick auf ein frauenfeindliches Arbeitsumfeld, wenige Kolleginnen, mit denen zusammengearbeitet wird und die Suggestion, es wäre nicht möglich, ein Familienleben zu haben (egal ob als Freundin, Ehefrau, und/oder Mutter) UND Wissenschafterin zu sein, hält sie sie potentiell davon ab, eine Karriere in STEM (Science, Technology, Engineering, Mathematics) zu verfolgen (Steinke, 2005).
Diverse Studien haben sich mit der Repräsentation von Frauen im Film beschäftigt. Die New York Film Academy beispielsweise stellte fest, dass nur etwa 31 % aller Sprechrollen in Filmen im Zeitraum von 2007 bis 2012 von Frauen verkörpert wurden. Dazu passend fand Steinke (2005) in nur 34 % der von ihr untersuchten Filme weibliche Hauptcharaktere. Hier vermittelt die Filmindustrie als Ganzes, dass nicht Frauen, sondern Männer erzählenswerte Geschichten haben und im Mittelpunkt stehen können. Auf die Darstellung von Frauen in der Wissenschaft reduziert wird der Eindruck vermittelt, dass Frauen, auch wenn sie Interesse und/oder Fähigkeiten für Forschungsarbeit mitbringen, keine spannenden Geschichten erleben und deshalb nicht sichtbar sind.

Film und kulturelle Macht

Wie bereits zu Beginn dieser Arbeit angemerkt, bestehen Filme nicht in einer “Blase”, abgekoppelt von unserer Gesellschaft. Wie Wissenschaft in Filmen und anderen populären Medien dargestellt wird, beeinflusst stark, was für ein Bild der Allgemeinheit von den dargestellten Forschungsfeldern hat.
Ebenso können Filme Menschen dazu ermutigen, ihr Umfeld in Frage zu stellen und ihre Zukunft selbst aktiv zu gestalten. Ein berühmtes Beispiel dafür ist die Schauspielerin Whoopi Goldberg, die sich daran erinnert, wie sie zum ersten Mal Nichelle Nichols in der Rolle als Lt. Uhura in Star Trek sah:

“When Star Trek came on, I was 9 years old. And I saw this show and there you were and I ran through the house saying, “Hey! Come everybody! Quick! Quick! Look! There’s a black lady on television and she ain’t no maid! I knew from that moment that I could become anything I wanted to be.”

[Übers.: “Als Star Trek lief, war ich 9 Jahre Alt. Und ich sah diese Show, und da waren Sie [N. Nichols], und ich lief durch das Haus und sagte, “Hey! Kommt alle! Schnell! Schnell! Schaut! Da ist eine Schwarze Frau im Fernsehen und sie ist kein Hausmädchen! Ich wusste von dem Moment an, dass ich alles werden konnte, was ich wollte.”] aus: StarTalk Radio with Neil DeGrasse Tyson (2011): A Conversation with Nichelle Nichols.

Steinke (2005) stellt fest, was wir in Frage stellen sollten – nämlich Filme, die die Weiblichkeit der Frauenrollen betonen und dazu ermutigen, traditionelle Frauenstereotype hoch zu halten und Filme, die traditionelle soziale und kulturelle Annahmen über die Rolle von Frauen in Wissenschaft, Ingenieurswesen und Technik bestärken.
Zum Schluss möchte ich meinen Leserinnen und Lesern noch ans Herz legen, beim nächsten Kinobesuch oder Filmabend den “Bechdel Test” (Bechdel, 1985) anzuwenden. Obwohl viel diskutiert, ist er bisher eine der wenigen Möglichkeiten, die Darstellung von Frauen im Film zu messen. Drei Fragen sind zu beantworten, können alle drei Fragen mit “Ja” beantwortet werden, hat der Film den Test bestanden und erfüllt ein absolutes Minimum bezüglich der Darstellung von Frauen:

  1. Tauchen im Film zumindest 2 Frauen auf?
  2. Sprechen sie miteinander?
  3. Sprechen sie über etwas anderes als einen Mann?

Obwohl es also nur um ein absolutes Minimum an Mehrdimensionalität für weibliche Charaktere geht, fallen viele Filme durch den Test durch oder bestehen ihn nur wegen einer einzelnen Zeile Text – doch Frauen sind mehr als nur Hintergrunddekoration für Geschichten von Männern über Männer.

Quellen

  • Steinke Jocelyn (2005): Cultural Representations of Gender and Science. Portrayals of Female Scientists and Engineers in Popular Films. In: Science Communication, 27 No. 1., Seite 27-63
  • Villa Paula-Irene (Hrsg.) (2012): Banale Kämpfe?: Perspektiven auf Populärkultur und Geschlecht. Wiesbaden: Springer VS
  • Mühlen-Achs Gitta, Stolzenburg Elke (1994): Geschlechtsspezifische Medienpädagogik: Über Mädchenbilder und den Umgang mit ihnen. GMK-Rundbrief Nr 36-März 1994, S.94-100.
  • New York Film Academy (2013): Gender Inequality in Film – An Infographic. https://www.nyfa.edu/film-school-blog/gender-inequality-in-film/, Abgerufen am 09.07.2015
  • StarTalk Radio with Neil DeGrasse Tyson (2011): A Conversation with Nichelle Nichols. http://www.startalkradio.net/show/a-conversation-with-nichelle-nichols/, Abgerufen am 09.07.2015
  • Bechdel, Alison (1985): The Rule. http://dykestowatchoutfor.com/the-rule, Abgerufen am 09.07.2015
  • Avatar. Dir. James Cameron. Perf. Sam Worthington, Zoe Saldana, Stephen Lang, Michelle Rodriguez, and Sigourney Weaver. 20th Century Fox, 2009. Film.
  • Contact. Dir. Robert Zemeckis. Perf. Jodie Foster, Matthew McConaughey, James Woods, and Tom Skerritt. Warner Bros., 1997. Film.
  • Prometheus. Dir. Ridley Scott. Perf. Noomi Rapace, Michael Fassbender, Guy Pearce, Idris Elba, Logan Marshall-Green, and Charlize Theron. 20th Century Fox, 2012. Film.
  • Splice. Dir. Vincenzo Natali. Perf. Adrien Brody, Sarah Polley, and Delphine Chanéac. Warner Bros. Pictures, 2009. Film.